Freitag, 31. Dezember 2010

Das unsichtbare Visier (I)

Das Nerv tötende und geradezu brechend Lästige an der nun nicht gerade unnützen Einrichtung Internet ist, das man, abweichend von anderen sinnvollen Alltagshilfen wie fließend Wasser aus der Wand und Licht im Kühlschrank, ständig gezwungen wird, eine Meinung dazu zu haben.

In meiner viel zu knappen Mittagspause, freut sich der mir Gegenübersitzende über die „investigativen Veröffentlichungen“ von Wikileaks im Sinne der Transparenzwerdung von Politik im Allgemeinen“. Zudem feierte er die erfreuliche Tatsache, dass sich die arabische Welt in ihrer Ablehnung des "Irren von Teheran" (FAZ, Bild und alle anderen) weder hinter Israel noch den USA zu verstecken raucht. Dies sei nicht nur ein Riesenjux, lang ersehnte Genugtuung nebst Bestätigung für Israel, sondern vermag demnach die politische Ordnung im Nahen Osten vielleicht sogar gehörig durcheinander zu bringen. Naja. Um Missverständnissen vorzubeugen. Mein Gegenüber formuliert üblicherweise von mir hochgeschätzte, vernünftige Kritik an den herrschenden Verhältnissen.

Soweit so gut, der subversive Witz liegt auf der Hand, warum nicht darüber lächeln, in der so knapp bemessenen Mittagspause. Und dennoch. Es muss drauf bestanden werden, dass es letztlich doch nur boulevardesker Kram ist, der sich da zum Rang einer Nachricht erhebt. Oder? Bei aller Peinlichkeit, aber wo genau liegt das Verbrechen verborgen, wenn schlecht aussehende Junggebliebenliberale mit knödelfliegen in ihrer unbegrenzten Liebe zu "Amerika" (Kohl und Metzner)) nichts anderes tun, als hinter dem Rücken ihrer Vorgesetzten über diese und vor allem deren politischer Unbedarftheiten zu lästern?

Wo liegt das Vergehen? Im Krieg gegen die sozial Schwachen, der sich in ganz Europa austobt? Mit einer Sozialdemokratie an der Spitze, die dabei ist, völlig geschichtsvergessen und ohne Not nicht nur nicht den per se inhumanen Charakter von zeitgenössischer Politik unterm Joche rasend rücksichtsloser Kapitalverwertung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen oder wenigstens bloßzustellen. Stattdessen forciert sie diesen Wahnsinn mit dem Raub der nur schwer errungenen Restbürgerlichkeit durch die faktische Entwertung des bürgerlichen Notstandes, wie aktuell in Spanien zu besichtigen. Dass sich die spanische Regierung damit der Zustimmung größerer Teile der Bevölkerung erfreuen kann, zeigt noch deutlicher den Verrat, als den Opportunismus an die Masse.

Welche Bedeutung hat angesichts dieser Verwerfungen das Statement belangloser Staatsdiener, Hinterbänkler und meinetwegen auch ernstzunehmender Regierender über ihresgleichen und ihre charakterlichen Zuschreibungen.

Geschenkt.

Jetzt fällt es natürlich schwer, dieser "Revolte im Netz" (sueddeutsche) jegliche Sympathie zu verweigern. Aber das erspart nicht die Kritik. Denn die Veröffentlichungen folgen der Logik der Medien-Kamarilla. Dies gilt für das Material, wie für den Zeitpunkt der Veröffentlichung gleichermaßen. Gleichwohl es ein Zeichen für die intellektuelle Verrohung unserer Zeit ist: es scheint offensichtlich ein beträchtlicher, bis dato unbekannter Skandal zu sein, dass im Krieg Zivilisten ermordet werden, Menschen völlig enthemmt und entmenscht entweder Befehle erteilen oder welche ausführen, unter Preisgabe jeglicher Humanität, oder gar aus eigenem „Antrieb“ Grausamkeiten begehen. Im Westen was Neues? Und jetzt? Kein bisschen zynisch bleibt zu fragen, welcher Nutzen sich für die "Guten" jetzt ergibt. Ich kann ihn nicht einmal im Politischen erkennen. Der Krieg bleibt. Die Nachricht über Kriegsverbrechen auch. Auch wenn direkter Nutzen nicht immer Indikator klugen Handelns sein muss, die Logik von Wikileads folgt der Logik des
Skandals. Information und Aufklärung wird der Sensation geopfert. Denn sonst müsste die Adresse der veröffentlichten Dokumente und Nachrichten eine bürgerliche Generalstaatsanwaltschaft sein. Erst wenn diese versagt, muss alternatives Handeln erfolgen. Doch diesen Versuch gab es nicht. Aber was genau ist die Konsequenz, die sich daraus ergibt? Soll die etwas schrullige Brotfachverkäuferin bei mir um die Ecke mit ihrem jetzt erworbenem Wissen tätig werden? Und wenn ja, wie?

Widerstand im Internet ist nichts per se Kluges und Richtiges. Wieso sollte sich das Internet von der Straße unterscheiden? Nicht jede Angestellte, die aus Wut über eine ausgebliebene Gehaltserhöhung die privaten E-Mails ihres Chefs herum schickt, muss für Rosa Luxemburg gehalten werden. Sie könnte auch Leserreporterin bei der Bildzeitung sein.
Selbst wenn wir derlei Aktionen unter Sabotage verbuchen, schiene mir das, sagen wir, Entern und Bereinigen eines Abschiebecomputers der Ausländerbehörde sinnvoller als die doch eher kindische Dumm-Freude an der Denunzierung irgendwelcher Botschafter.

Aber neben der ewig öden Frage, ob das Internet nun Fluch oder Segen sei(die schon deswegen öde ist, weil das Internet selbst im Fall, es würde als Fluch gekennzeichnet, ja deshalb nicht abgeschaltet würde, es ist, wie der quälende Stoffwechsel, nun mal da), gibt es ja auch noch Fragen von wirklicher Dringlichkeit:

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z.B. was uns Wenige, die über geblieben sind und sowohl olle Heym als auch Menotti (wenigstens teilweise) schätzen, daran hindert, diesem ekeligen, widerwärtigen, fratzenziehenden Dummdödel von Ronaldo einfach mal veritabel eine in die Fresse zu hauen, um uns dann, vom Blutenden desinteressiert abgewandt mit dem Lobpreisen des Barca zu begnügen.

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z. B. was diese elende Pflicht zum Schneeschaufeln soll, wo doch alle Welt aus Erfahrung weiß, dass es sich auf ein bisschen Schnee viel sicherer und angenehmer wandern lässt als auf den überfrorenen Schneeresten, die bei 90 Prozent aller Schneeschippbemühungen zuverlässig liegenbleiben (gestern Nachmittag wär ich auf dem Weg Bahnhof deswegen fast zweimal hingeschlagen!).

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

wow. sie besitzten aber einen Seehr großen Wortschatz! ...

Anonym hat gesagt…

wieso haben sie denn Bilder weiter auf ihrem Blog? nur so lange Texte?