Dienstag, 23. August 2011

Alle unsere frühen Schlachten - Herr Ingendaay belustig sich über die Laizisten Spaniens


Beide Lager haben sich eingebunkert.“ Die Bezeichnung des Sujets ist trotz der martialischen, kriegerischen Bestimmung auch dann gut gewählt, wenn es überraschender Weise nicht um die derzeitige Auseinandersetzungen der türkischen Regierung mit der PKK, die Erstürmung von Tripolis, oder die schon etwas verblasste Schuldendebatte zwischen Republikaner und Demokraten  geht: Paul Ingendaay schrieb am 18.08.2011 in der FAZ über den Papstbesuch zum Weltjugendtag in Madrid. Wer nun auf eine journalistische Beschreibung der Auseinandersetzung hofft, muss sich gedulden. Wer hofft, auf eine offene und diskutierbare Parteinahme zu treffen, muss genauer lesen.

Herr  Ingendaay stilisiert die Auseinandersetzungen zu einem lächerlichen Kulturkampf hoch, der, überholt und antiquiert, trotzdem nahezu alle Teile der Politik umfasst. Es sei ein „Gespensterkampf steinalter Prinzipien und eine historische Rechthaberei, die nicht vergehen will.“ Er hat nichts verstanden, oder es eben nicht verstehen wollen: Es ist kein Kulturkampf. Vielleicht und allerhöchsten von der Rechten, aber vor allem ist es eine Auseinandersetzung um eine zivilisatorische Errungenschaft, den laizistischen Staat. In Spanien ist der Staat per Verfassungen akonfessionell, aber in der Realität ist der Trennung von Kirche und Staat noch nicht voll durchgesetzt.
Dies und nichts weiter ist Konsens in der politischen Linken: Der laizistische Staat. Es war die Linke, die in den letzten Jahrzehnten gelernt hat, den militanten Atheismus aus ihrer Agenda zu streichen und das Religiöse als privat anzuerkennen. Trotzdem bleibt ein trotziger und notwendiger „Antiklerikalismus“ der in gesellschaftlich institutionalisierten Bündnissen von reformierten Mehrheitsgewerkschaften bis hin zu gemäßigten Anarchisten alles umfasst, was gemeinhin als Linke bezeichnet wird. Und es ist nötig, dass diese Stimme sich Gehör verschafft, wenn man sich anschaut, was in diesen Tagen in Madrid und anderen Städten Spaniens passiert – die Städte werden vollgemacht mit von vor Unvernunft strotzenden Jugendlichen, christlichen Hasspredigern, Pinguinen, Teufelsaustreibern und religiös-fundamentalistischen Attentätern. In Madrid wurden von der Stadtregierung (rechter Flügel der PP) öffentliche Gebäude genutzt um für den Papstbesuch zu werben. 

 
Da reicht es eben nicht aus, die Verlautbarungen von Papst Benedikt XVI. „über die Laisierungstendenzen der spanischen Gesellschaft“ zu kritisieren, selbst wenn zu Recht  auf den Vorsitzende der Spanischen Bischofskonferenz, Antonio María Rouco Varela, verwiesen wird: Dieser „sprach sogar von einem neuen „Kreuzzug“, den es unter den spanischen Jugendlichen anzuregen gelte, und allein der Begriff verrät eine gewisse historische Stillosigkeit, weil die spanische Kirche das Wort auch nach ihrer Parteinahme für den Putsch der rechten Militärs und die aktive Unterstützung der Repression im und nach dem Spanischen Bürgerkrieg verwendet hat. Die Opfervereinigung „Asociación de la Memoria Histórica“ hat den Erzbischof von Madrid bisher vergeblich aufgefordert, zur komplizenhaften Rolle des spanischen Klerus unter der Franco-Diktatur Stellung zu nehmen.“  Denn wer dann auf  „den Mord an vielen tausend (sic.!) Geistlichen durch die Linke“  als vermutlich pluralistischen Ausgleich verweist zeigt an, dass zu Gunsten eigener Ideologie Geschichte umgeschrieben werden muss.
Ingendaay denunziert nur oberflächlich den Kulturkampf als lächerlich. Er meint und er trifft die Linken. Er muss wissen, dass in Barcelona im Mai 2011 die Gegner nicht unbedingt behindert wurden – eine weitere Facette im classico Madrid-Barcelona, während die Madrider Stadtregierung  Metros in der Nacht fahren lässt, ohne Abstimmung mit dem Betriebsrat, und auf diese Weise die „billigen Metrotickets“ produziert. 
 
Konsequenter Weise greift Herr Ingedaay dann auch noch die Tageszeitung „Publico“ an. Er beschuldigt diese, nicht den „Auftaktgottesdienst auf die Titelseite nehmen“. Dabei ist das doch völlig korrekt. Auf die Titelseite gehören Themen wie die Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit und vor allem die Auseinandersetzungen um die  laizistische Demonstration in Madrid.

Auch wenn die Beweisführung schon erdrückend ist, einer geht noch: „Dann, das religiöse Ereignis koste die Steuerzahler Geld. Das sagten allerdings dieselben Leute, denen die Steuergelder für großes Polizeiaufgebot, Helikopter und Reinigung öffentlicher Anlagen in den Tagen der spanischen Protestbewegung ziemlich gleichgültig waren und denen man mit dem Anliegen der tributpflichtigen „Allgemeinheit“ nicht hätte kommen dürfen.“ Wer hier gleichsetzt, befindet sich weit jenseits des Grundverständnisses einer bürgerlichen Demokratie. Gewollt oder nicht, die Parteinahme ist nicht länger hinter der verschwurbelten Kritik des Konfliktes als Konfliktes zu verbergen.

Spanien macht seine bürgerlich-demokratische Revolution in vielen einzelnen schmerzhaften Schritten durch und das nun mittlerweile seit 300 Jahren. Auch den Bürgerkrieg muss man als eine solche Auseinandersetzung interpretieren. Und jener Bürgerkrieg wurde zwar als bewaffneter politischer Konflikt vor 72 Jahren beendet, aber die gesellschaftlichen Akteure existieren weiter. Zumindest die Linke hat es geschafft ihre politische Aktion weitestgehend in demokratischen Bahnen zu lenken, bei der Rechten kann man sich da nie sicher sein.

Die Rechte baut heutzutage immer noch auf den Obrigkeitsstaat, der klassistisch aufgebaut ist und keine Klassendurchlässigkeit kennt, da Macht, Geld und Einfluss immer noch hauptsächlich vererbt und nicht erarbeitet werden. Im Übrigen wird genau diese Form der halbfeudalen Klassengesellschaft von der spanischen katholischen Kirche propagiert. Es bleibt zu erwarten, dass die antiklerikalen Impulse heutzutage und die Bewegung des 15-M zusammen mit anderen Kräften der Gesellschaft die bürgerlich-demokratische Revolution in Spanien sobald wie möglich vollenden helfen!

Dann können Leute wie Antonio María Rouco Varela, Mariano Rajoy Brey, José María Aznar und wie sie alle heißen vor allem eins: Einpacken! Ach ja: Und Paul Ingendaay hat sich offensichtlich auch entschieden. Nicht genug, dass er als Herausgeber einer trottligen, Real Madrid verklärenden Ekelschmonzette fungierte, deren Titel nicht nur furchtbar radebrechend daher kommt, sondern auch noch alles hält was er verspricht (Alle unsere frühen Schlachten), am 18.8.2011 hat die FAZ dokumentiert, wessen Geistes Kind er ist.