Montag, 19. Januar 2009

Geschüttelt nicht gerührt

Hat Mami vor 15 Jahren noch den Homöopathen ihres Vertrauens per Mund-zu-Mund-Propaganda auf dem Spielplatz weitergereicht, ist das heute nicht mehr nötig: praktizierende ÄrztInnen verschreiben homöopathische Medizin, in den Apotheken stehen die bunten Kügelchen gleich neben der Kasse. Was jede (Mittelschichts-)Mama längst weiß: bei unseren Kleinen hilft die Homöopathie besonders gut und rückstandsfrei. Ist was Pflanzliches halt. Also was Natürliches und deswegen auch von der Pharmaindustrie bekämpft. Wie die kleine tapfere Frau auf der Straße nämlich schon längst erkannt hat, schrecken die Pharmahersteller vor nichts zurück, um ihre nichtsnutzigen, allenfalls krankmachenden Produkte an das unschuldige Kind zu bringen. Einen Schnupfen mit Antibiotika bekämpfen?? Ein paar homöopathische Kügelchen reichen da völlig aus!

Die hat Mama auf Vorrat in der Handtasche immer griffbereit – bei kleinen Alltagswehwehchen helfen sie bestens. Was sich unsere tapfere deutsche Mutter im Feldzug gegen Bayer&Co nie gefragt hat, ist erstens die genaue Wirkungsweise von homöopathischen Medikamenten und zweitens die Notwendigkeit der medizinischen Behandlung von Alltagswehwehchen. Für alle, die's nicht wissen: Homöopathie bedeutet die Verschüttelung einer pflanzlichen oder tierischen „Ursubstanz“ mit Alkohol (oder anderen Trägerstoffen), wobei sie dermaßen stark verdünnt wird (= “Potenzierung“), dass kein einziges Molekül der Ausgangssubstanz mehr nachweisbar ist. Die „heilende Information“ (Vorsicht: jetzt wird’s esoterisch) wird dabei auf den Trägerstoff übertragen, aber halt nur so rein energetisch und nicht materiell. Deswegen ist es auch wichtig, dass die Verschüttelungsarbeit per Hand und nur von einem Eingeweihten geleistet wird. Wer's also richtig ernst meint, darf nicht die Billighomöopathie von der Stange kaufen (am Ende wurden die nämlich nur von kalten toten Maschinen verschüttelt), sondern muss sein Mittelchen frisch und maßgeschneidert herstellen lassen. Das kostet etwas mehr, aber die Heilenergie wird ja mitgeliefert und selbstverständlich verdient fast niemand etwas dran.

Wenden wir uns noch mal dem Schnupfen und anderen Alltagswehwehchen zu: Solche Krankheiten müssen eigentlich gar nicht behandelt werden! Die kindlichen Abwehrkräfte reichen völlig aus, um allein damit fertig zu werden, und die süßen Kügelchen (fürs Kind gibt es selbstverständlich keinen Alk, sondern Arznei auf Zuckerbasis) sind genauso potent wie eine Liebesperle: ihr nicht zu unterschätzender Effekt heißt Placebo, und keine homöopathischer Wirkungsweise konnte jemals über den Placeboeffekt hinaus belegt werden. Ist doch klar, antworten alle Hardcorehomöopathen: die Pharmaindustrie finanziert keine entsprechenden Studien! Das ist eine Lüge: seit den 90er Jahren wurden einige repräsentative Studien durchgeführt die immer wieder nur die Placebowirkung bestätigen konnten: bis zu 70 Prozent der placebobehandelten PatientInnen berichten über gute Heileffekte des „Medikaments“ ohne Wirkstoffe, die Genesungsrate ist mit oder ohne Verschüttelung dieselbe - 90 Prozent der Krankheiten verschwinden „von selbst“ wieder!

Bild: Die Homöopathie geht ohne Umstände in der nationalsozialistischen „Neuen deutsche Heilkunde“ auf und wirkt an der Gesundung des deutschen Volkskörpers mit. Hier gefeiert wird Samuel Hahnemann, der Begründer der 200 Jahre alten Homöopathie.

Den aufkommenden Brechreiz bekämpfe ich lieber mit Vomex als mit homöopathischen Kügelchen.