„In der ganzen Lebensgeschichte
eines Volkes ist sein heiligster Augenblick,
wo es aus seiner Ohnmacht erwacht…
Ein Volk, das mit Lust und Liebe die Ewigkeit,
seines Volkstums auffaßt,
kann zu allen Zeiten sein Wiedergeburtsfest
und seine Auferstehung feiern.“
Friedrich Ludwig Jahn
„Auch du, Zabel!“ Die Schlagzeile der „Bild“ vom 25. Mai diesen Jahres ist nur scheinbar ein Einspruch gegen die Behauptung Elke Wittichs (jungle-world), dass die deutschen „Medien-Experten“ sich unermüdlich als Vorkämpfer gegen Doping präsentierten, sich empörten über Lücken bei den Kontrollen der Tour: „Man zählte bei jedem Fahrer statt sportlicher Erfolge eventuelle Verdachtsmomente auf und war nur in einem Punkt ganz sicher: Die Fahrer von T-Mobile waren allesamt sauber. Im Gegensatz zu allen anderen. Ein ZDF-Reporter teilte die Radler an einem der ersten Renntage in »die Deutschen und die Verdächtigen« ein.“ Dass Zabel durch seinen kleinen Sohn („Ich verzeihe ihm“, „Bild“, ein Tag später) öffentlich am Pranger vorbeigeführt wurde, spielt eine Rolle, aber keine große. Für das Zusammenführen der Volksgemeinschaft ist vielmehr entscheidender, dass die „verführten deutschen Radsportler“, „nicht immer alles wissend“ in den „Dopingsumpf“ gestolpert sind, aus dem sie sich nun durch öffentliche Selbstgeißelung wieder zu befreien trachten.
Insofern ist der den künstlich verkomplizierten gesellschaftlichen kapitalistischen Verhältnissen etwas dumpf gegenüberstehende Deutsche, der leicht in die „modernen Fallen“ zu tappen droht, ein in dieser Logik zwingend aufzurufendes Topoi, zumal es am Gegenpart nicht mangelt:
Der „dopingverseuchte, kalte“, geradezu entmenschte „amerikanische Radsport-Roboter“ (alles FAZ) Lance Armstrong, und seine Nachfolger vom Team Discovery Channel. Immerhin, nicht jede Karte wird gespielt, denn gelernt ist gelernt: Levi Leipheimer wird „nur“ mit dem unbestimmten, sehr vorsichtig geäußerten Verdacht belegt, mit dem italienischen Sportmediziner Michele Ferrari zusammengearbeitet zu haben. Aber genauer ist es auch nicht nötig, wissend kann sich der geneigte Fernsehzuschauer mit dem Rest der Meute ankumpeln.
Da sind sie alle versammelt, die im Untergrund und im Schatten Agierenden, die seltsam und vor allem weltweit Vernetzten, die den „sauberen Sport zerstören“, und denen irgendwie dennoch so richtig niemand an den Karren fahren kann, da windige Anwälte und dubioses Gebaren der Fahrer letztlich doch immer vor der gerechten Strafe schützen: nicht mal der Ausschluss aus der sporttreibenden Gemeinschaft mag gelingen.
Dabei sind die Geschütze deutscher Bauart doch schon längst aufgefahren:
Der Abbau selbst grundlegender bürgerliche Rechte für Radfahrer (DNS-Proben, nächtliche Polizei-Überfälle in Hotelzimmer, Datensammlungen, Bewegungsprotokolle und vieles mehr) wird sicher auch anderswo gefordert. Aber nirgends sonst wird so leise widersprochen, wie in diesem elenden Land.
Da werden Berufsverbotsforderungen für dopende Sportler laut in einem Land, das traditionell den euroweit niedrigsten Krankenstand aufweist; unter zu Hilfenahme sämtlicher im Fachhandel erhältlicher Pharmazeutika, auch hier führt die BRD im Pro-Kopf-Verbrauch in Europa: „Einer muss doch die Arbeit machen!“
Der sportpolitische Sprecher der Bundes-Grünen, Winfried Hermann forderte sogar hohe Geld- und Haftstrafen für Dopingsünder. Schließlich sei klar, dass „Sport erstens ein Beitrag zur Gesundheit ist und zweitens ein Sozialisationsinstrument und Bildungsmittel zur Erlernung von Wettbewerbs- und Leistungsfähigkeit unter fairen Bedingungen.“ Wer die ideologische Liaison von Neoliberalismus mit dem deutsch-völkischen Schmodder Turnvater Jahns noch genauer studieren will, lese nach unter, hm, ja wo eigentlich?
Jede ernsthafte Beschäftigung mit Sport im allgemeinen und Leistungssport im besonderen muss sich darüber im Klaren sein, dass die Regeln des Sports die Werte und Normen einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft widerspiegeln. Wer also vom Sport das Saubere und Reine erwartet, als das er gerne hingestellt wird, übersieht die Wurzeln und die Funktion des Sports. Wer auch nur einmal ernsthaft ein Fußballspiel betrachtet, egal ob in der Champions League oder in der Amateurliga – immer geht es auf die Knochen, und zwar mit Absicht. Denn nur der Sieg zählt. Das Brimborium um die Olympischen Spiele – Dabeisein ist Alles – dient nur dazu, den Schein zur Wirklichkeit zu verklären.
Und da aber in Volksdeutschland die Uhren ein bisschen anders ticken, als anderswo, zählt hier nicht der pfiffige Sieg des Einzelnen, des Herausragenden, über die anderen Einzelnen, sondern es geht um den Sieg der Gemeinschaft über die anderen. Und da sind wohl noch Wunden offen. Schon dumm, dass das mit den Weltkriegen nicht geklappt hat. Immerhin, in der öffentlich rechtlichen Sportberichterstattung gibt es kein halten mehr, da wird zur Tradition, was Tradition sein muss: Die heutige Deutschlandtour hat demzufolge ihre Vorläufer in der „Großdeutschlandfahrt.“ Schlag nach bei Wikipedia: „Einigkeit besteht bei den Chronisten darüber, dass es zwischen 1937 und dem Ausbruch des 2. Weltkrieges im Jahre 1939 zu gut organisierten und spannenden Deutschland-Rundfahrten kam.“ Überraschung: gut organisiert. Aha. Immerhin waren sich die (vermutlich vielen) Chronisten einig. Völlig unproblematisch, so scheints, dass diese "Deutschland-Fahrt" durch große Teile Polens und Österreich führte, dass jüdische Fahrer außen vor blieben, und dass, wenn sie Glück hatten, sie selbst für internationale Teams nicht im Reich starten durften. Aber da wolln wir mal nicht kleinlich sein, schließlich geht’s um „sauberen Sport.“ Es wird ein Rätsel der „Klasse der Sportjournalisten“ (Schmidt) bleiben, was zwischen der Tour und dem Deutschlandgefahre passiert ist: Das Wort „Doping“ jedenfalls scheint den Übertragungsstop-Radikalinskis der ARD/ZDF abhanden gekommen zu sein.
Vielleicht gelingt ja heute, was damals wegen der blöden Verwicklungen in den zweiten Weltkrieg nicht funktionierte: Den Giro und die Tour und die Vuelta als wichtigste Radsportereignisse zu verdrängen. Naja, und wenn es wieder nicht klappt, dann wissen wir, nein sorry, die Volksgemeinschaft auch warum: warum wohl?