Donnerstag, 11. Juni 2009
Montag, 18. Mai 2009
Luther Blisset wird es dem Barca nicht verübeln.
24. September 1983: Der FC Barcelona und Athletic Bilbao spielen um die Copa del Rey. Nach einer Stunde Spielzeit, der Barca führt 2:0, der Ball fliegt aus Barças Strafraum in Richtung Mittellinie. Diego Armando Maradona spitzelte gerade noch den Ball zum Mitspieler, als in seinem Rücken Andoni Goikoetxea, das Bein ausstreckt, zu jenem Foul heranberserkt, von dem noch Jahre später viele immer wieder behaupten, es sei das furchtbarste Foul der Geschichte des Fußballs.
Maradona wird später sagen: „Ich spürte den Schlag, ich hörte das Geräusch wie das eines Holzes, das bricht“.
Als Maradona vom Platz getragen wird, ist es im Stadion totenstill. Maradona guckt in die Barceloneser Nacht, vom Schmerz betäubt und mit der Ungewissheit, was das alles jetzt bedeutet. Er wollte nur Fußball spielen. Seine Hände liegen über der wärmenden Decke.
Das medizinische Gutachten verhieß das Ende der Karriere eines der begnadetsten Fußballer aller Zeiten. Zertrümmerter Knochenhöcker am Wadenbein, das Außenband ist durchtrennt, das Fußgelenk ausgekugelt.
César Luis Menotti hat geweint, spricht in 60 Minuten Pressekonferenz nicht einmal über das Spiel oder das Ergebnis. Er referiert über Gewalt im Fußball. Oder besser: er fragt, was da passiert, ruft nach einer übergeordneten Ordnung: „Muss denn erst jemand sterben, ehe jemand etwas tut?“
Üble Fouls gehören leider immer wieder zur Geschichte des Fußballs. Nicht alle davon geschahen in grober Absicht. Als Rüdiger Schnuphase wie tot am Pfosten von Sparta Rotterdam lag, kam es zu Gewaltausbrüchen Jenaer Fans gegen den Mannschaftsbus der Rotterdamer. Die Bilder der Situation zeigen aber, dass dem Verteidiger keine Absicht zu unterstellen war. Und dennoch lag eine große Karriere in Trümmern.
Die Geschichte des Fouls von Goikoetxea ist eine andere. Sie war Konzept, blutiger Wille. Menotti: „Er gehört der Rasse der Antifußballer an.“ Und gleich noch mal: „Sie fressen nur, um zu scheißen.“
Man muss wahrlich kein Freund von Eduardo Galeano sein, aber dass seine These vom „vorsätzlichen Totschlag“ nicht mal juristisch geprüft wurde, ist ein Skandal.
Und na klar, öde Männlichkeitsformen gehören zum Fußball aller Tage. Oder zu dem, was für Fußball gehalten wird. Wenn Ronaldo in erbärmlichen Posen vor Freistößen sein Gemächt über dem Rasen lüftet, wünscht man sich ein Katapult zur Hand, etwas Treffsicherheit und rückwirkend eine Eintrittskarte zum entsprechenden Spiel. Geschenkt. Ihm bei seinen Verrichtungen zusehen zu müssen, verletzt unsere Sinne und übersteigt unsere Leidensfähigkeit, gewiss. Aber Ronaldo hat noch nicht versucht zu töten.
Aber es war nie nur die Frage einer vereinzelten Aktion. Es ist der historische Kontext, in dem sich alles vollzieht, die fußballerischen, politischen, soziokulturellen Zusammenhänge. Das Spiel Barcelona gegen Athletic war damals auch das Aufeinanderprallen konträrer Stilmittel und Konzeptionen: Hier der Boheme, Schöngeist und Revolutionär Menotti mit seinem linkem Diskurs, der dem damaligen Barca-Präsident Nunez auf die Frage, ob man nicht zu weich spiele, empört zurückschlonzte: „Holen Sie doch elf Boxer!“ Dort das an Soldaten-, Arbeiter- und damit eben an Männlichkeitsethos gemahnende Schlachtgeheul von Clemente: „Andoni war halt so. Der hat auch im Training zugelangt. Ohne böse Hintergedanken. Was meinst du, was ich für Tritte bekommen habe? Und wir waren, sind Freunde!“
Spanien selbst durchlebt eine politisierte Zeit. Acht Jahre zuvor hat Cruyff Franco erlegt. Barca und Athletic haben auf dem Fußballplatz eine Dominanz erlangt, von der sie mit Recht annehmen, dass diese unter dem Joch der Diktatur verhindert wurde. Athletic und Barca waren, mit dem Schriftsteller Montalban gesprochen, zu „symbolischen Heeren an den Rändern Spaniens“ geworden.
Vier Tage nach dem Mordversuch an Maradona schnürt Goikoetxea wieder dieselben Schuhe, mit denen er Maradonas Knöchel zertrümmert hatte und macht im Uefa-Pokal das Spiel seines Lebens und ein Tor. Die Kameraden tragen ihn auf Schultern vom Platz. „Ich habe den Aufschrei des baskischen Volkes gehört.“ So badet es sich eben in Volkes Mitte.
Dazu gibt es nicht weiter zu sagen.
13. Mai 2009: Eine entfesselte, ein geradezu irrwitzig aufspielende, von Verletzungssorgen gebeutelte Auswahl des FC Barcelona blamiert das mit großen Hoffnungen auf einen Titel nach Valencia angereiste Team von Athletic Bilbao. Das Ergebnis ist dabei völlig irrelevant. Das „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ muss nach diesem Spiel neu geschrieben werden, wenn noch stimmt, dass der Pass beim Fußball Kommunikation (Brecht) ist. Luther Blisset wird es dem Barca nicht verübeln. Traurig ist nur, das die Zehntausende die in Barcelona nach jedem Titel auf der Strasse sind Luther Blisset nicht kennen.
13. Mai 2009: Auf den Tag genau 25 Jahre ist es her, als der Weltfußball Abschied nahm. Johann Cruyff beendete seine atemberaubende Karriere, nicht so sehr der Titel wegen, sondern der Leichtigkeit und der revolutionären Phantasie wegen, mit der er den Fußball neu erfand. Er wurde zum Henker von Franco, wenngleich es zum hängen des Systems allein nicht reichte.
Donnerstag, 7. Mai 2009
Geschüttelt nicht gerührt II
Aber während die Hinterzimmer verwaist vor sich hin stauben, und sich hin und wieder nur das Gekrächze eines Kolkraben erahnen lässt, quakt es aus Sakralbauten, die ungefähr genauso aussehen, wie sie sich anhören: Sakralbauten. Schlimm Schlimm! Aber noch immer nicht die Krone der Idiotie!
Neben den religiösen Verwerfungen kommt es aber darüber hinaus in meinem Alltag immer wieder zu öffentlich geäußertem quasireligiösen Unfug. Dieser richtet sich dann mit aller Verachtung gegen Nichtdummes, Brauchbares und manchmal Wertvolles.
Zum Beispiel gegen die "Schulmedizin". Sein Arzt sei so ein furchtbarer Schulmediziner, sagte neulich unaufgefordert ein Nachbar zu mir. Ich wollte durch hastiges Vorbeieilen dem Malheur widerlichster Kommunikation entgehen, aber der Volksmund war schneller: „Ich wünsche mir jemanden, der einen ganzheitlichen Ansatz hat und mich natürlich behandelt.“
Wie durch ein Wunder erbrach ich mich nicht im Treppenhaus. Ich erfuhr, dass man Antidepressiva in Kreisen der Naturtypen wie mein Nachbar einer zu sein scheint, nur noch als "Psycho-Hammer" kennt. Wird jemandem im Krankenwagen, im Krankenhaus oder in der Notaufnahme das Leben gerettet, "hängt er an Schläuchen und Kabeln", obwohl die Patienten dort in der Regel liegend untergebracht sind. Und eine Operation ist natürlich nicht deshalb nötig, weil sie Hilfe für die Erkrankten bringt, sondern nur, "weil Ärzte operieren und ihren Katalog vollbekommen müssen". Was denn für einen Katalog? Und ist ein Katalog nicht von Anfang an „voll“?
Dass dieses noch nicht das Ende eines erbärmlichen Gespräches ist, weiß jeder, der in der BRD Nachbarn, Kollegen oder Mitfahrer im öffentlichen Nahverkehr hat. Zur religiösen Ersatzhandlung wird das Einführen „pflanzlicher Arzneimittel,“ und der Hohepriester der ganzheitlichen Gesundheit überreicht das Kraut wie eine Hostie.
Obwohl Johanniskraut, Baldrian und Baldrian längst millionenfach über den Apothekentresen gehen und industriell gefertigt und abgepackt werden, bleibt beim Käufer die Illusion, eine Kräuterhexe, ein Druide oder das Dalai Lama habe das heilige Kraut persönlich für sie mit der Sichel von Stängel oder Stamm geköpft und naturtrüb in Ampulle oder Tablette gepresst.
Manchmal möchte man diesen Graswurzelfaschisten einen pharmakologischen Anfängerkurs an den Hals wünschen, in dem sie erfahren, was die garstige Schulmedizin für Pfeile im Köcher hat. Es reicht auch der Blick ins Internet, hier kurz ein paar schnell recherchierte Ergebnisse:
Acetylsalicylsäure, wird von der aus anderen Gründen mafiösen Pharmaindustrie als Aspirin in den Apotheken dieser Welt verhökert.
Die meisten Antibiotika stammen aus Pilzen. Die Eibe, quasi Natur pur, liefert Taxane, mit der die Schulmedizin recht erfolgreich verschiedene Krebserkranken bekämpft, im Fingerhut befindet sich Zeuchs, welches bei Herzerkrankungen eingesetzt wird: von der Schulmedizin.
Der Homöopath auf seiner naturbelassenen Scholle dagegen erscheint im Zweifel im bunteren Stoff und mit jauchiger Stimme. Und sonst? Bunte Naturpillen vollgepropft mit Naturstoffen wie Arsen, Blei, giftige Metalle, oder ein Kraut namens, ein Dank dem Weltgeist, Brechnuss, welches Strychnin enthält.
Mein Nachbar antwortet gekonnt: „Die Verdünnung bei den Naturburschen ist so groß, dass eh kein Molekül mehr in den Kügelchen enthalten ist.“ Aber es ist grausamer Schwachsinn: Es kam schon zu Strychninvergiftungen, weil die Verdünnung zu niedrig ausgefallen war. Und mal ganz ehrlich, wenn eh kein Molekül mehr im Kügelchen ist, für was denn dann der ganze Zinnober?
Die Sehnsucht des Volkes zum Natürlichen ist da ungebrochen, wo Vernunft sich dem Gefühl zu beugen hat. Gekreuzt mit dem Verdacht gegen alles industriell und entfremdet Hergestelltem, halt jenem Gegenpol zum schollenbäuerlich und arbeitsdumm von Frühbisspäterzeugtem, ergibt sich die grauenvolle Subtanz, die unter dem begriff des „Volksdeutschen“ firmiert.
Wozu gibt’s eigentlich Hinterzimmer?
Montag, 19. Januar 2009
Geschüttelt nicht gerührt
Die hat Mama auf Vorrat in der Handtasche immer griffbereit – bei kleinen Alltagswehwehchen helfen sie bestens. Was sich unsere tapfere deutsche Mutter im Feldzug gegen Bayer&Co nie gefragt hat, ist erstens die genaue Wirkungsweise von homöopathischen Medikamenten und zweitens die Notwendigkeit der medizinischen Behandlung von Alltagswehwehchen. Für alle, die's nicht wissen: Homöopathie bedeutet die Verschüttelung einer pflanzlichen oder tierischen „Ursubstanz“ mit Alkohol (oder anderen Trägerstoffen), wobei sie dermaßen stark verdünnt wird (= “Potenzierung“), dass kein einziges Molekül der Ausgangssubstanz mehr nachweisbar ist. Die „heilende Information“ (Vorsicht: jetzt wird’s esoterisch) wird dabei auf den Trägerstoff übertragen, aber halt nur so rein energetisch und nicht materiell. Deswegen ist es auch wichtig, dass die Verschüttelungsarbeit per Hand und nur von einem Eingeweihten geleistet wird. Wer's also richtig ernst meint, darf nicht die Billighomöopathie von der Stange kaufen (am Ende wurden die nämlich nur von kalten toten Maschinen verschüttelt), sondern muss sein Mittelchen frisch und maßgeschneidert herstellen lassen. Das kostet etwas mehr, aber die Heilenergie wird ja mitgeliefert und selbstverständlich verdient fast niemand etwas dran.
Wenden wir uns noch mal dem Schnupfen und anderen Alltagswehwehchen zu: Solche Krankheiten müssen eigentlich gar nicht behandelt werden! Die kindlichen Abwehrkräfte reichen völlig aus, um allein damit fertig zu werden, und die süßen Kügelchen (fürs Kind gibt es selbstverständlich keinen Alk, sondern Arznei auf Zuckerbasis) sind genauso potent wie eine Liebesperle: ihr nicht zu unterschätzender Effekt heißt Placebo, und keine homöopathischer Wirkungsweise konnte jemals über den Placeboeffekt hinaus belegt werden. Ist doch klar, antworten alle Hardcorehomöopathen: die Pharmaindustrie finanziert keine entsprechenden Studien! Das ist eine Lüge: seit den 90er Jahren wurden einige repräsentative Studien durchgeführt die immer wieder nur die Placebowirkung bestätigen konnten: bis zu 70 Prozent der placebobehandelten PatientInnen berichten über gute Heileffekte des „Medikaments“ ohne Wirkstoffe, die Genesungsrate ist mit oder ohne Verschüttelung dieselbe - 90 Prozent der Krankheiten verschwinden „von selbst“ wieder!
Bild: Die Homöopathie geht ohne Umstände in der nationalsozialistischen „Neuen deutsche Heilkunde“ auf und wirkt an der Gesundung des deutschen Volkskörpers mit. Hier gefeiert wird Samuel Hahnemann, der Begründer der 200 Jahre alten Homöopathie.
Den aufkommenden Brechreiz bekämpfe ich lieber mit Vomex als mit homöopathischen Kügelchen.