In dunklen Hinterzimmern, selbstredend nicht verraucht, trifft sich der Club der Abergläubigen, oder besser – dort sollten sie sich treffen, ginge es nach mir und den längst postulierten Zielen bürgerlicher Revolutionen.
Aber während die Hinterzimmer verwaist vor sich hin stauben, und sich hin und wieder nur das Gekrächze eines Kolkraben erahnen lässt, quakt es aus Sakralbauten, die ungefähr genauso aussehen, wie sie sich anhören: Sakralbauten. Schlimm Schlimm! Aber noch immer nicht die Krone der Idiotie!
Neben den religiösen Verwerfungen kommt es aber darüber hinaus in meinem Alltag immer wieder zu öffentlich geäußertem quasireligiösen Unfug. Dieser richtet sich dann mit aller Verachtung gegen Nichtdummes, Brauchbares und manchmal Wertvolles.
Zum Beispiel gegen die "Schulmedizin". Sein Arzt sei so ein furchtbarer Schulmediziner, sagte neulich unaufgefordert ein Nachbar zu mir. Ich wollte durch hastiges Vorbeieilen dem Malheur widerlichster Kommunikation entgehen, aber der Volksmund war schneller: „Ich wünsche mir jemanden, der einen ganzheitlichen Ansatz hat und mich natürlich behandelt.“
Wie durch ein Wunder erbrach ich mich nicht im Treppenhaus. Ich erfuhr, dass man Antidepressiva in Kreisen der Naturtypen wie mein Nachbar einer zu sein scheint, nur noch als "Psycho-Hammer" kennt. Wird jemandem im Krankenwagen, im Krankenhaus oder in der Notaufnahme das Leben gerettet, "hängt er an Schläuchen und Kabeln", obwohl die Patienten dort in der Regel liegend untergebracht sind. Und eine Operation ist natürlich nicht deshalb nötig, weil sie Hilfe für die Erkrankten bringt, sondern nur, "weil Ärzte operieren und ihren Katalog vollbekommen müssen". Was denn für einen Katalog? Und ist ein Katalog nicht von Anfang an „voll“?
Dass dieses noch nicht das Ende eines erbärmlichen Gespräches ist, weiß jeder, der in der BRD Nachbarn, Kollegen oder Mitfahrer im öffentlichen Nahverkehr hat. Zur religiösen Ersatzhandlung wird das Einführen „pflanzlicher Arzneimittel,“ und der Hohepriester der ganzheitlichen Gesundheit überreicht das Kraut wie eine Hostie.
Obwohl Johanniskraut, Baldrian und Baldrian längst millionenfach über den Apothekentresen gehen und industriell gefertigt und abgepackt werden, bleibt beim Käufer die Illusion, eine Kräuterhexe, ein Druide oder das Dalai Lama habe das heilige Kraut persönlich für sie mit der Sichel von Stängel oder Stamm geköpft und naturtrüb in Ampulle oder Tablette gepresst.
Manchmal möchte man diesen Graswurzelfaschisten einen pharmakologischen Anfängerkurs an den Hals wünschen, in dem sie erfahren, was die garstige Schulmedizin für Pfeile im Köcher hat. Es reicht auch der Blick ins Internet, hier kurz ein paar schnell recherchierte Ergebnisse:
Acetylsalicylsäure, wird von der aus anderen Gründen mafiösen Pharmaindustrie als Aspirin in den Apotheken dieser Welt verhökert.
Die meisten Antibiotika stammen aus Pilzen. Die Eibe, quasi Natur pur, liefert Taxane, mit der die Schulmedizin recht erfolgreich verschiedene Krebserkranken bekämpft, im Fingerhut befindet sich Zeuchs, welches bei Herzerkrankungen eingesetzt wird: von der Schulmedizin.
Der Homöopath auf seiner naturbelassenen Scholle dagegen erscheint im Zweifel im bunteren Stoff und mit jauchiger Stimme. Und sonst? Bunte Naturpillen vollgepropft mit Naturstoffen wie Arsen, Blei, giftige Metalle, oder ein Kraut namens, ein Dank dem Weltgeist, Brechnuss, welches Strychnin enthält.
Mein Nachbar antwortet gekonnt: „Die Verdünnung bei den Naturburschen ist so groß, dass eh kein Molekül mehr in den Kügelchen enthalten ist.“ Aber es ist grausamer Schwachsinn: Es kam schon zu Strychninvergiftungen, weil die Verdünnung zu niedrig ausgefallen war. Und mal ganz ehrlich, wenn eh kein Molekül mehr im Kügelchen ist, für was denn dann der ganze Zinnober?
Die Sehnsucht des Volkes zum Natürlichen ist da ungebrochen, wo Vernunft sich dem Gefühl zu beugen hat. Gekreuzt mit dem Verdacht gegen alles industriell und entfremdet Hergestelltem, halt jenem Gegenpol zum schollenbäuerlich und arbeitsdumm von Frühbisspäterzeugtem, ergibt sich die grauenvolle Subtanz, die unter dem begriff des „Volksdeutschen“ firmiert.
Wozu gibt’s eigentlich Hinterzimmer?