13. Mai 2009: Eine entfesselte, ein geradezu irrwitzig aufspielende, von Verletzungssorgen gebeutelte Auswahl des FC Barcelona blamiert das mit großen Hoffnungen auf einen Titel nach Valencia angereiste Team von Athletic Bilbao. Das Ergebnis ist dabei völlig irrelevant. Das „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ muss nach diesem Spiel neu geschrieben werden, wenn noch stimmt, dass der Pass beim Fußball Kommunikation (Brecht) ist. Luther Blisset wird es dem Barca nicht verübeln. Soweit so klar. Wäre da nicht die Vorgeschichte, vermutlich nicht mehr alle im Stadion kennen, zumindest nicht vom eigenen erleben.
24. September 1983: Der FC Barcelona und Athletic Bilbao spielen um die Copa del Rey. Nach einer Stunde Spielzeit, der Barca führt 2:0, der Ball fliegt aus Barças Strafraum in Richtung Mittellinie. Diego Armando Maradona spitzelte gerade noch den Ball zum Mitspieler, als in seinem Rücken Andoni Goikoetxea, das Bein ausstreckt, zu jenem Foul heranberserkt, von dem noch Jahre später viele immer wieder behaupten, es sei das furchtbarste Foul der Geschichte des Fußballs.
Maradona wird später sagen: „Ich spürte den Schlag, ich hörte das Geräusch wie das eines Holzes, das bricht“.
Als Maradona vom Platz getragen wird, ist es im Stadion totenstill. Maradona guckt in die Barceloneser Nacht, vom Schmerz betäubt und mit der Ungewissheit, was das alles jetzt bedeutet. Er wollte nur Fußball spielen. Seine Hände liegen über der wärmenden Decke.
Das medizinische Gutachten verhieß das Ende der Karriere eines der begnadetsten Fußballer aller Zeiten. Zertrümmerter Knochenhöcker am Wadenbein, das Außenband ist durchtrennt, das Fußgelenk ausgekugelt.
César Luis Menotti hat geweint, spricht in 60 Minuten Pressekonferenz nicht einmal über das Spiel oder das Ergebnis. Er referiert über Gewalt im Fußball. Oder besser: er fragt, was da passiert, ruft nach einer übergeordneten Ordnung: „Muss denn erst jemand sterben, ehe jemand etwas tut?“
Üble Fouls gehören leider immer wieder zur Geschichte des Fußballs. Nicht alle davon geschahen in grober Absicht. Als Rüdiger Schnuphase wie tot am Pfosten von Sparta Rotterdam lag, kam es zu Gewaltausbrüchen Jenaer Fans gegen den Mannschaftsbus der Rotterdamer. Die Bilder der Situation zeigen aber, dass dem Verteidiger keine Absicht zu unterstellen war. Und dennoch lag eine große Karriere in Trümmern.
Die Geschichte des Fouls von Goikoetxea ist eine andere. Sie war Konzept, blutiger Wille. Menotti: „Er gehört der Rasse der Antifußballer an.“ Und gleich noch mal: „Sie fressen nur, um zu scheißen.“
Man muss wahrlich kein Freund von Eduardo Galeano sein, aber dass seine These vom „vorsätzlichen Totschlag“ nicht mal juristisch geprüft wurde, ist ein Skandal.
Und na klar, öde Männlichkeitsformen gehören zum Fußball aller Tage. Oder zu dem, was für Fußball gehalten wird. Wenn Ronaldo in erbärmlichen Posen vor Freistößen sein Gemächt über dem Rasen lüftet, wünscht man sich ein Katapult zur Hand, etwas Treffsicherheit und rückwirkend eine Eintrittskarte zum entsprechenden Spiel. Geschenkt. Ihm bei seinen Verrichtungen zusehen zu müssen, verletzt unsere Sinne und übersteigt unsere Leidensfähigkeit, gewiss. Aber Ronaldo hat noch nicht versucht zu töten.
Aber es war nie nur die Frage einer vereinzelten Aktion. Es ist der historische Kontext, in dem sich alles vollzieht, die fußballerischen, politischen, soziokulturellen Zusammenhänge. Das Spiel Barcelona gegen Athletic war damals auch das Aufeinanderprallen konträrer Stilmittel und Konzeptionen: Hier der Boheme, Schöngeist und Revolutionär Menotti mit seinem linkem Diskurs, der dem damaligen Barca-Präsident Nunez auf die Frage, ob man nicht zu weich spiele, empört zurückschlonzte: „Holen Sie doch elf Boxer!“ Dort das an Soldaten-, Arbeiter- und damit eben an Männlichkeitsethos gemahnende Schlachtgeheul von Clemente: „Andoni war halt so. Der hat auch im Training zugelangt. Ohne böse Hintergedanken. Was meinst du, was ich für Tritte bekommen habe? Und wir waren, sind Freunde!“
Spanien selbst durchlebt eine politisierte Zeit. Acht Jahre zuvor hat Cruyff Franco erlegt. Barca und Athletic haben auf dem Fußballplatz eine Dominanz erlangt, von der sie mit Recht annehmen, dass diese unter dem Joch der Diktatur verhindert wurde. Athletic und Barca waren, mit dem Schriftsteller Montalban gesprochen, zu „symbolischen Heeren an den Rändern Spaniens“ geworden.
Vier Tage nach dem Mordversuch an Maradona schnürt Goikoetxea wieder dieselben Schuhe, mit denen er Maradonas Knöchel zertrümmert hatte und macht im Uefa-Pokal das Spiel seines Lebens und ein Tor. Die Kameraden tragen ihn auf Schultern vom Platz. „Ich habe den Aufschrei des baskischen Volkes gehört.“ So badet es sich eben in Volkes Mitte.
Dazu gibt es nicht weiter zu sagen.
13. Mai 2009: Eine entfesselte, ein geradezu irrwitzig aufspielende, von Verletzungssorgen gebeutelte Auswahl des FC Barcelona blamiert das mit großen Hoffnungen auf einen Titel nach Valencia angereiste Team von Athletic Bilbao. Das Ergebnis ist dabei völlig irrelevant. Das „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ muss nach diesem Spiel neu geschrieben werden, wenn noch stimmt, dass der Pass beim Fußball Kommunikation (Brecht) ist. Luther Blisset wird es dem Barca nicht verübeln. Traurig ist nur, das die Zehntausende die in Barcelona nach jedem Titel auf der Strasse sind Luther Blisset nicht kennen.
13. Mai 2009: Auf den Tag genau 25 Jahre ist es her, als der Weltfußball Abschied nahm. Johann Cruyff beendete seine atemberaubende Karriere, nicht so sehr der Titel wegen, sondern der Leichtigkeit und der revolutionären Phantasie wegen, mit der er den Fußball neu erfand. Er wurde zum Henker von Franco, wenngleich es zum hängen des Systems allein nicht reichte.